KLASSIK
C D s
|
NEUES
AUS
DER
MUSIKWELT
I—
<
O
2
O
Ludwig van Beethoven
KLAVIERSONATEN OP. IS,
OP. 27 NR. 2, OP. 31 NR. 2
Alexej Gorlatch
Oehms/Naxos CD
(57‘)
Schon auf seiner Debüt-CD von BR
Klassik deutete sich an, dass mit
dem jungen Alexej Gorlatch, dem
umjubelten Ersten Preisträger des
ARD-Wettbewerbs 2011, ein Pia-
nist mit einer besonderen Beetho-
ven-Affinität auf den Plan getre-
ten sein könnte - mehr noch an
der Studioproduktion der frühen
f-Moll-Sonate abzulesen als am
Live-Mitschnitt des Abschlusskon-
zerts mit Beethovens op. 37.
Die neue Oehms-CD bestätigt sol-
che Erwartungen auf äußerst ein-
drucksvolle Weise. Der deutsch-
ukrainische Mittzwanziger legt mit
drei bekannten „Namenssonaten“
- neben „Pathétique“ und „Mond-
scheinsonate“
nimmt
hier die
„Sturmsonate“ den Platz der frü-
her unvermeidlichen „Appassiona-
ta“ ein - Muster aktueller Beetho-
ven-Interpretationen vor, die auch
im Vergleich mit den größten und
berühmtesten Vorgänger-Aufnah-
men bestehen können, sehr gut be-
stehen können.
Was sie auszeichnet und aus
dem derzeitigen Angebot heraus-
ragen lässt, ist Gorlatchs Fähig-
keit, die Unbedingtheit von Beetho-
vens künstlerischem Wollen über-
zeugend zu vermitteln. Dazu ge-
hört, dass das Brio im ersten Satz
Frédéric Chopin
KLAVIERKONZERTE
Olga Schcps, Stuttgarter Kammer Orchester,
Matthias Foremny
RCA/Sony CD_________________________ (78)
Wie viel Romantik aus der (oft als
dürftig geschmähten) Orchesterbe-
gleitung der beiden Chopin-Konzer-
te herauszuholen ist, hat um die
Jahrhundertwende Krystian Zimer-
man in seiner Aufnahme mit dem
Polish Festival Orchestra fast über-
deutlich demonstriert. Diese jüngs-
te Auseinandersetzung versucht
sich vom Gros der auf CD greifbaren
Interpretationen abzusetzen, indem
sie den entgegengesetzten Weg ein-
schlägt: Matthias Foremny und sein
Stuttgarter Kammerorchester be-
gnügen sich in ihrer Neuaufnahme
der beiden Werke (in den alternati-
ven reinen Streicherfassungen), die
Noten „und nichts als die Noten“ zu
Olga Scheps passt sich diesem
Ton an. Wie nicht anders zu erwar-
ten, „kann“ sie ihren Solopart. Aber
auch ohne eine der zahlreichen Ver-
gleichsaufnahmen von Rubinstein
bis Argerich und von Perahia bis Pi-
res zu bemühen, wird schon beim
ersten Hören deutlich, dass ihr Spiel
- wenigstens, wie es hier in Nah-
aufnahme präsentiert ist - bei al-
ler Sorgfalt vergleichsweise wenig
frühromantische Farbigkeit, virtuo-
se Attacke und deklamatorischen
Glanz besitzt. Abgesehen von eini-
gen Durchführungsstellen im ers-
ten Satz des op. 11 oder der Ron-
do-Stretta des f-Moll-Geschwisters
wirkt es merkwürdig zögerlich, zu-
rückhaltend in Ausdruck und Dyna-
mik, und nicht selten kippt musika-
lische Bedachtsamkeit in vorsichti-
ge Bedächtigkeit um.
Vielleicht glaubte RCA deshalb
ja, die CD mit einem werbenden Jo-
achim-Kaiser-Zitat auf dem Cover
- „So habe ich Chopin noch nicht
gehört!“ - auf den Weg bringen zu
müssen. Mein Resümee: So artig ha-
be ich die Chopin-Konzerte seit Lan-
gem nicht gehört.
Ingo Harden
der „Pathétique“ und das Agitato
des „Mondschein“-Finales kaum
je drängender zu erleben sind und
durchweg der Dynamikbereich von
Gorlatch maximal ausgereizt wird.
Fast noch mehr hat mir imponiert,
wie er es verstanden hat, die gro-
ßen Melodien der langsamen Sät-
ze aller drei Sonaten erfüllt zu „sin-
gen“ und trotzdem ohne Einbuße
an Intensität im Piano und sogar im
Pianissimo zu bleiben: Interpreta-
tion im glücklichen, noch von kei-
ner Routine banalisierten Stadium
der Frühreife. Und zusätzlich zu all
dem ist es Gorlatch auch noch ge-
lungen, die Musik immer „in Form“
zu halten und die einzigartige Strin-
genz Beethoven’schen Komponie-
rens spürbar zu machen: Außeror-
dentlich.
Ingo Harden
MUSIK ★
KLANG ★
I
Hochbegabter Nachwuchs-
Pianist mit Affinität zu Beethoven:
Alexej Gorlatch
Johann A dolph Hasse
ROKOKO
Max Emanuel Cencic, Armonia Atena, G. Petrou
Decca/Universal CD
(64’)
Für sein Decca-Debüt hat sich Cen-
cic Arien von Hasse ausgesucht, da-
runter
sieben
Weltersteinspie-
lungen. Ebenso breit wie die Aus-
druckspalette des Komponisten ist
das vokale Spektrum des Counter-
tenors: von auffahrender Virtuosität
bis zu einem verschatteten Expres-
sivo-Gesang. Atemberaubend nicht
nur die Perfektion, mit der ihm die
Koloraturen aus dem Mund perlen,
sondern auch die tief empfundene
Emotionalität besonders der elegi-
schen Stücke. Die CD ist ein Beweis
für die Meisterschaft Hasses und die
eines der besten Countertenöre un-
serer Zeit - farbig begleitet vom En-
semble Armonia Atena.
bj0
W olfgang Amadeus M ozart
m
KLAVIERKONZERTE KV SO} + 466
Martha Argerich, Orchestra Mozart, Claudio
Abbado
DG/Universal CD
(62')
spielen - taktfest und transparent,
MUSIK ★
i MUSIK ★
I MUSIK ★
geheimnislos und deutlich.
KLANG ★
★ "
: KLANG ★
; KLANG ★
Er hat sie mit seinen Orchestern auf
Händen getragen: Martha Argerich.
Insofern hat es beinahe Symbolcha-
rakter, dass Claudio Abbados letz-
te Aufnahme vor seinem Tod aus-
gerechnet mit ihr als Solistin ent-
stand. Denn bereits bei zwei seiner
ersten Einspielungen war sie seine
Protagonistin: 1966 mit Prokofjews
drittem und Ravels G-Dur-Konzert
sowie im Februar 1968, als sie in
London die jeweils ersten Klavier-
konzerte von Liszt und Chopin für
die Schallplatte einspielten: sie,
die pianistische Raubkatze, zahm
und lodernd, scheu und kratzig, er,
der aufstrebende, ehrgeizige Italie-
ner, der noch im selben Jahr die Sai-
son der Mailänder Scala eröffnen
sollte. Weitere gemeinsame Pro-
jekte folgten, darunter Tschaikows-
ky und Beethoven (die Konzerte
zwei und drei).
So schloss sich nun ein Kreis, als
Abbado zum Abschied noch einmal
das Podium mit Martha Argerich be-
trat, festgehalten im März 2013 in
Luzern. An ihrer Seite das Orches-
tra Mozart. Auf dem Programm: das
große, festliche C-Dur-Konzert KV
503 und das gern so dämonisch
verdüsterte d-Moll-Konzert KV 466.
So wie Abbado und Argerich stets
Vertraute waren und über Jahrzehn-
te blieben, agieren beide auch in
diesen Konzerten: in bestem Ein-
vernehmen, einander zuhörend,
sich gegenseitig ergänzend und
animierend. Argerich mit einer bis
ans Trockene reichenden Klarheit,
Abbado mit zurückgenommener
Geste, um all seinen Solisten, im
Orchester wie am Klavier, die bes-
ten Klangmöglichkeiten zu eröff-
nen. Wo sonst das d-Moll-Konzert
als kleiner Bruder des „Don Gio-
vanni“ gedeutet wird, besitzt hier
alle Schwere etwas Vertrauensvol-
les, ja Tröstendes. Mozart, in Schu-
berts Nähe gerückt.
Christoph Vratz
1
3
4
STEREO 4/2014
★ ★ ★ ★ ★ hervorragend I ★ ★ ★ ★ sehr gut I ★ ★ ★ solide I ★ ★ problematisch I ★ schlecht
vorherige seite 134 Stereo 2014-04 lesen sie online nächste seite 136 Stereo 2014-04 lesen sie online Nach hause Text ein/aus